Reduktion der Pflichtteile und Vergrösserung der verfügbaren Quoten
Die zentrale Neuerung im Erbrecht ist, dass die Pflichtteile der Nachkommen reduziert werden und die Eltern des Erblassers nicht mehr pflichtteilsgeschützt sind. Der Pflichtteil der Nachkommen wird von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils reduziert.
Die Nachkommen des Erblassers haben somit neu einen Pflichtteilsanspruch auf einen Viertel des Nachlasses ihres verstorbenen Elternteils, wenn dieser verheiratet war, oder auf die Hälfte, wenn dieser nicht verheiratet war. Der Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten und eingetragenen Partners ändert hingegen nicht. Dieser beträgt weiterhin, wenn keine Nachkommen vorhanden sind, die Hälfte der Erbschaft bzw. ein Viertel (½ x ½), wenn er diese mit Nachkommen teilen muss. Bei der Begünstigung des überlebenden Ehegatten oder des überlebenden eingetragenen Partners mit einer Nutzniessung beträgt die verfügbare Quote neu die Hälfte statt eines Viertels des Nachlasses.
Aufgrund der erhöhten verfügbaren Quote infolge der Reduktion der Pflichtteile können der überlebende Ehegatte, der eingetragene Partner, nicht eheliche Partner, vereinzelte Nachkommen, Organisationen etc. mittels letztwilliger Verfügung oder Erbvertrag zusätzlich begünstigt werden. Ergänzend sind die kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern zu beachten, die mit dem neuen Erbrecht keine Änderung erfahren haben.
Schenkungsverbot
Neu können Erbvertragsgläubiger Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden – mit Ausnahme von üblichen Gelegenheitsgeschenken – anfechten, wenn (1) die nachträglichen Schenkungen ihre erbvertraglichen Begünstigungen schmälern und (2) lebzeitige Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden.
Möchte der Erblasser über sein Vermögen zu Lebzeiten ganz oder teilweise weiterhin frei verfügen können, sind entsprechende Vorbehalte im Erbvertrag notwendig.
Erb- und ehegüterrechtliche Folgen eines hängigen Scheidungsverfahrens
Nach geltendem Recht entfallen der Pflichtteilsanspruch und das gesetzliche Erbrecht zwischen Ehegatten, wenn sie geschieden sind bzw. wenn das Scheidungsurteil formell rechtskräftig ist.
Mit dem revidierten Erbrecht gilt Folgendes: Weiterhin haben geschiedene Ehegatten kein gesetzliches Erbrecht zueinander. Stirbt ein Ehegatte während eines Scheidungsverfahrens und ist (1) dieses auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt worden oder (2) haben die Ehegatten seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt, verliert der überlebende Ehegatte nach neuem Recht seinen Pflichtteilsanspruch, nicht jedoch sein gesetzliches Erbrecht. Dies bedeutet, dass der überlebende Ehegatte vor Eintritt der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils Anspruch auf seinen gesetzlichen Erbteil behält, soweit ihm dieser nicht testamentarisch entzogen wurde. Analoges gilt jeweils bei Verfahren zur Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft.
Bei hängigen Scheidungsverfahren gemäss vorstehendem Absatz entfallen die übergesetzlichen Begünstigungen bei der Vorschlagsbeteiligung beim ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung und bei der Gesamtgutszuweisung bei Vorliegen einer Gütergemeinschaft von Gesetzes wegen.
Klarstellung bei der gebundenen Selbstvorsorge
Aktuell besteht hinsichtlich der Auszahlung der gebundenen Vorsorgegelder Rechtsunsicherheit. Für die Versicherungen und Banken besteht ein Risiko, dass nach Auszahlung an die Begünstigten ohne vorgängige Konsultation der Erben diese die Zahlung anfechten und zum Nachlass zählen lassen wollen.
Die neu im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) verankerte Bestimmung statuiert, dass Begünstigte aus einer anerkannten Vorsorgeform einen eigenen Anspruch auf die ihnen daraus zugewiesene Leistung haben. Die Vorsorgeeinrichtungen (Versicherung oder Bank) zahlen die Gelder den Begünstigten direkt aus.
Die Ansprüche aus der Säule 3a fallen zwar nicht in den Nachlass, werden aber der Pflichtteilsberechnungsmasse hinzugerechnet und unterliegen der Herabsetzung.
Ausblick: Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen
Die neuen Verfügungsfreiheiten ermöglichen dem Erblasser, sein Vermögen ungleich innerhalb der Familie zu verteilen, was unter anderem die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen erleichtern kann.
Ferner hat der Bundesrat im Juni 2022 eine Botschaft zu einer entsprechenden Gesetzesänderung verabschiedet. So soll eine Erbin oder ein Erbe das Unternehmen übernehmen können, auch wenn die Erblasserin oder der Erblasser keine diesbezügliche Verfügung getroffen hat. Auf Antrag können Gerichte künftig einer Erbin oder einem Erben unter gewissen Voraussetzungen das gesamte Unternehmen zuweisen. Damit soll die Zerstückelung oder Schliessung insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) verhindert werden.
Die Erbteile der übrigen Erbinnen und Erben müssen bei der Zuweisung berücksichtigt werden. Hat die Unternehmensnachfolgerin oder der Unternehmensnachfolger Probleme, die anderen Erbinnen und Erben sofort auszuzahlen, schlägt der Bundesrat die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs vor. So soll namentlich vermieden werden, dass die Übernahme des Unternehmens zu Liquiditätsproblemen führt.
Gemäss heutigem Stand ist noch unklar, wie und zu welchem Zeitpunkt die Botschaft des Bundesrates umgesetzt wird.